Störrische Zeichnungen in der Frühstücksbühne (ez)
Störrische Zeichnungen in der Frühstücksbühne
Nach lange Pause zeigt Marianne Tralau mal wieder eigene Zeichnungen in der Galerie Frühstücksbühne in der St.-Nicolai-Str..
Ungewöhnlich ist es heute für einen modernen Künstler, Zeichnungen zu präsentieren. Diese nicht als Skizzen für auszuarbeitende Werke, sondern als Hauptwerk – das ist außergewöhnlich. Marianne Tralau hat über 50 Jahre an ihren Strich gearbeitet und präsentiert abstrakte Werke meist als Graphit auf präparierten Papier. In Serien zeigt sie, wie sie sich mit ihren Motiven anfreundet, sie variiert, sie spielen lässt und sie bis zur jener Grenze der Eskalation treib, die mit der Perfektion nah zusammen steht. Manchmal wagt sie den Schritt über diese abschließende Grenze, manchmal verweilt sie genüsslich davor. Deutlich ist diese spielerische Ernsthaftigkeit in der Hasenserie zu erleben. Ein Hase führt durch die Ausstellung, die diesmal nicht nur die Galerieräume umfasst, sondern sich auch über die Atelier- und Privaträume erstreckt. In jedem Raum begrüsst ein Hase die Betrachtenden, im Schlafzimmer gibt es einen kleinen, durchaus humoristischen Exkurs in das Wesen des Tieres in der Kunst: Tizian, Beuys, Paula Moderson-Becker und natürlich Albrecht Dürer sind als Tralausche Nachempfindungen zu erleben. Keine Frage: Die Grenze zwischen Karikatur und akribische Bildanalyse bleibt erlebbar. Die Spannungen die diesseits und jenseits von Grenzen entstehen und die damit verbundene Ängstlichkeit und Wollust, der Mut und die Schalkhaftigkeit spiegelt sich in den Bildern wieder. Während in der Küche Hammer und Sichel als bildhafte Symbole untersucht und abgehandelt werden, ereilt das selbe Schicksal einem inzwischen verfemten Symbol in einer „Giftkammer“. Dort mutieren Hakenkreuze weit jenseits der geschichtlich aufgeprägten Bedeutung, zwischen altgeschichtlicher Mythologie und unbefangener Experimentierlust. Da die Zeichnerin sich der Eigeninterpretation entzieht, liegt eine besondere Kladde aus, um die Kommentare der Besucher aufzunehmen.
Neben vielen anderen in Serien geordneten Bildern sticht auch besonders die Reihe „Hans im Glück“ hervor. Es sind die einzigen Zeichnungen dieser Ausstellung bei denen sich zum Graphit auch Tusche gesellt und sie zeigen in besonders spannender Weise das Abstraktionsverständnis der Zeichnerin Marianne Tralau. Stets bleiben die Formen erkennbar, aber umfangreich reduziert auf mögliche Grundmotive. Die Phantasie des Betrachtenden wird zum Maß des Bildes. Sie ist nicht eingeschränkt durch umfangreiche Vorgaben, sondern darf und muss frei agieren um sich der Sinnhaftigkeit des Bildes zu nähern. Während der unbefangen sich Nähernde die anregende Leichtigkeit genießen kann und soll wird dem fachkundigen Besucher die ernsthaftige Qualität der durchgearbeiteten Striche berühren. Wenn auch selten geworden, hier gibt es die Zeichnung, die moderne Zeichnung noch, als selbständige Kunst. (fst)
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