Ewald Huss

Ewald Huß

Wie kommt ein Versicherungskaufmann aus Dithmarschen auf einen Traditionssegler?

Im Alter von neun hat Ewald Huß angefangen zu segeln – auf alten Schiffen. Auf sehr alten Schiffen, denn direkt nach dem Krieg waren die brauchbaren Boote beschlagnahmt, aber die Mitglieder des Meldorfers Segelvereins machten die alten Kähne wieder flott, die ganz hinten im Bootshaus vor sich hin moderten. Der kleine Butje machte begeistert mit, schleppte Bohlen, suchte sich nützlich zu machen. „Min Jung, du hässt jümmers soveel holpen, wullt du mitfohrn?“ Die Grossen waren von dem Eifer des Kleinen begeistert; Ewald durfte mit auf Jungfernfahrt.

Der Kahn leckte; denn alles Holz war knochentrocken, doch die Männer waren begierig, endlich wieder auf See zu fahren. Die Segelmanöver gingen eher unbeholfen von der Hand, der Wind heulte viel zu stark für eine Jungfernfahrt und in der Bilge gluckste immer mehr Wasser. Dennoch war die Mannschaft begeistert und glücklich, nach den entbehrungsreichen Kriegsjahren endlich wieder auf See zu kommen.

Dann aber passierte es: Eine heftige Bö, backbord eine gewaltige Welle und das stolze Schiff lag auf der Seite. „Wo ist de Jung?“ Die Alten überkam die Panik. Ewald jedoch hatte sich geschickt aus dem Boot gleiten lassen und an das Segel geklammert, das in den Wellen dümpelte. Mit Hilfe der Seeleute und eines Rettungsschwimmers, der von Land in langen Zügen herbei schwamm, wurde der Kleine rausgefischt. Nun hieß es erst mal schwimmen lernen, und kurze Zeit später machte er seinen Freischwimmer, schon um der Schande zu entgehen, eine Schwimmweste tragen zu müssen.

To lütt förn Seemann

Ewald wurde das Maskottchen der alten Seeleute, das seine Kindheit im Hafen, im Segelclub und auf den verschiedensten Segelschiffen verbrachte, die in Meldorf vor Anker gingen – fast alles Traditionsschiffe. Natürlich wollte der Junge zur See fahren. Als er jedoch fünfzehn war und die Schule zu Ende ging, sagte der Schularzt: „Wat, du willst to See fahrn? Du bist ja veel to lütt!“ Grosse Enttäuschung bei dem jungen Mann, aber dann reifte in ihm die Idee, Schiffszimmermann werden zu wollen. Leider gab es in diesem Beruf weit und breit keine Lehrstelle. Was tun? Der Vater entdeckte eine Zeitungsanzeige: „Junge du warst Smitt!“ Tja „to lütt förn Seemann“, aber groß genug für das Schmiedehandwerk. Trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen stand der Junge die Lehre durch. Nebenbei machte er seinen Segelschein, und während seiner Jugend wurde es sein liebstes Freizeitvergnügen, alte Schiffe (Jollenkreuzer) fachmännisch zu restaurieren und damit hinaus zu fahren.

Später ging Ewald Huß zur Marine. Dort konnte er Yachten segeln und sich mit Schiffmotoren beschäftigen. Er lernte Maschinenbautechniker und wurde Bootsmann und Segelausbilder, bevor er zum Heer wechselte.

Hier gehörte die Instandsetzung von Pioniermaschinen zu seinen Aufgaben. Während er unterwegs war, um Verträge mit privaten Firmen über Instandsetzungsarbeiten auszuhandeln entdeckte er eine kaufmännische Ader in sich. Doch erst mal beschloss er, Berufssoldat zu werden. Ein Sportunfall stoppte jedoch diese Karriere, und deshalb erlernte er – noch bei der Bundeswehr – den Beruf des medizinischen Bademeisters und Masseurs. Nebenbei fast kamen noch Fußpfleger und Kosmetiker dazu. In seinem damaligen Heimatort Kappeln baute er die DRLG Gruppe auf.

Dann kann Berny Cornfed und seine Investmentideen, und da Huß in Kappeln sehr bekannt war, bestanden dadurch ideale Vorrausetzungen für das Tummeln im Anlageberaterbereich. „Das war ein hartes Brot“ „Ich musste viel lernen“. Es dauerte einige Zeit, bis er im kaufmännischen Bereich Wissen aufbauen konnte. Während er sich in das neue Thema einfuchste, arbeitete er ein Jahr als Fußpfleger und Kosmetiker. „Wenn man den weißen Kittel an hat, ist man ein anderer Mensch und wird auch gleich ganz anders behandelt.“ Aber nach einem Jahr widmete sich Ewald Huß ganz der Anlagenberatung und gab die Fußpflegepraxis weiter.

Sehr lange lief es mit dem Anlagegeschäft nicht; die Banken mauerten und fürchteten die Konkurrenz. In der alten Heimat Dithmarschen wurde ihm derweil ein Jobb als Versicherungskaufmann angeboten. Er nutzte die Möglichkeit und verkaufte seinen neuen Kollegen Vermögensanlagen. Der erste Bezirk in Nordfriesland mit den Inseln war eine kleine Goldgrube: Die Bauern waren nicht- oder unterversichert, der freundliche Ewald konnte ganz gemütlich „Platt snacken“ und bekam bei Bier und Köm schnell Kontakt zu den Landwirten. Er war so erfolgreich, dass er nach kurzer Zeit einen eigenen Bezirk bekam: Norderdithmarschen. „Da hatte ich das Glück, dass die Kühe und die Ochsen so teuer wurden; die mussten alle nachversichert werden“. Es kam noch die Insel Helgoland zu seinem Bezirk.

Etwas unkonventionell war dieser Versicherungsvertreter schon: Kleine Schäden regulierte er in bar und sofort, Vorverträge wurden auf einem Bierdeckel fixiert und dergleichen. Die Kunden hatten ein gutes Gefühl, der Kerl kümmerte sich um sie, schnackte ihre Sprache und war nicht unter den Tisch zu saufen. Einmal im Monat ließ Ewald Huß sich in der Zentrale blicken – natürlich mit einer Flasche Sekt unterm Arm. In den Abteilungen hieß es bald: „Wenn der Huß kommt, ermöglicht ihm bloß seine Extratouren, sonst… sabbelt he di dot“.

Eine eigene Generalagentur in Rendsburg war der logische Karriereschritt. Allerdings machten der viele Bürokram und Kleinscheiß, den so ein Betrieb mit sich bringt, Huß nicht wirklich glücklich.)

Einen gewissen Ausgleich brachte der Vertrieb dänischer Fertighäuser. Arbeit soll schließlich Spaß machen, sagte sich Ewald und übernahm immer öfter die Bauleitung. Aber – schöne Häuser, auch wenn sie noch so perfekt aufgebaut werden, hängen ziemlich in der Luft, wenn das passende Grundstück fehlt. Huß wurde also von dem Broterwerb des Maklers ergriffen. Dieser nunmehr dreizehnte Beruf machte die Agentur überflüssig. Fünf Jahre arbeitet Huß als Geschäftsführer und Verkäufer für die Raiffeisen-Immobilien im Kreis Rendsburg/Eckernförde. Viele der Hausbesitzer hatten sich jedoch in den Wirtschaftswunderjahren übernommen, welches in Insolvenzen und Zwangsverkäufen resultierte. Ein böses Geschäft, wenn man die Interessen der Banken zu vertreten hat! „Entweder ins Krankenhaus und das Gewissen herausoperieren lassen, oder Mensch bleiben“ Ewald entschied sich für das Zweite.

Umbruch

Inzwischen hatte er als Waldorfvater die Anthroposophie kennen gelernt und fing – inzwischen Mitte 40 – an, sich mit Sinnfragen zu beschäftigen. Er lernte die Lebensgemeinschaft Breiholz kennen, eine heilpädagogische Einrichtung, in der behinderte und gesunde Menschen zusammenleben. „Hier will ich hin“, schoss es Ewald Huß durch den Kopf, „so sieht sinnvolle Arbeit aus!“

„Mach selber etwas auf!“ empfahlen ihm seine Gesprächpartner. Inzwischen hatte Huß Frau und drei Kinder. Mit ihnen löste er seinen Haushalt auf. Sie verkauften auch ihr schönes Haus auf einem traumhaften Grundstück. Es fiel ihnen schwer, das alles zu verlassen, doch den neuen Lebensabschnitt wollten sie mittragen. Gemeinsam begannen sie, eine Stätte für Behinderte und mit Behinderten einzurichten.

Mit Glück und Hilfe des Schicksals gelang es Huß, ein geeignetes Haus für seine Zwecke zu finden, und bald konnte er seine Einrichtung aufbauen – in enger Zusammenarbeit mit der Lebensgemeinschaft Breiholz, die Ewald Huß zu seinem neuen Impuls inspiriert hatte. Die Lebensgemeinschaft besaß auch einen kleinen Kutter, auf dem man mit den Behinderten zusammen auf See fahren konnte. Der Kutter hieß „Ruth“, hatte siebzig Jahre auf seinem hölzernen Buckel und war etwas heruntergekommen. Er dümpelte so vor sich hin. Klar, dass Ewald sich des Bootes annahm; schon bald war er mit seinen Behinderten auf Törn. Verbunden mit der Natur und einer kleinen Gemeinschaft auf den Gewässern unterwegs zu sein, das war eine neue und befriedigende Situation.  Durch diese Art der Lebensgemeinschaft an Bord ergab es sich, dass Huß auch verstärkt Rat suchende Menschen in Lebensfragen beriet. Wegen der Umstrukturierungen der beiden Einrichtungen entschied man, ein älteres Boot die „Platessa von Esbjerg“ für therapeutische Zwecke zu erwerben.

Beim letzten Törn mit der Ruth war der Schiffsbesatzung nämlich zweimal die Platessa entgegengekommen. Der Eigner des Seglers wollte einen größeren Rumpf für mehr Platz haben; denn seine Familie war gewachsen und die Platessa zu eng geworden. Ende Oktober wurde beschlossen, die Platessa zu kaufen, aber die geforderte Summe, dreihundertfünfzigtausend D-Mark, war viel Geld. Nun hieß es für Huß, den gewaltigen Betrag aufzutreiben, und bereits Mitte Dezember – man glaube es kaum – stand die Kaufsumme zur Verfügung.

Platessa von Esbjerg

Auch mit diesem Schiff wurden weiterhin Fahrten mit Behindertengruppen gemacht, aber auch Schulklassen – vorzugsweise von Waldorfschulen – bekamen die Chance, Segeln als soziales Abenteuer zu erleben. Die Bootsleute rekrutierten sich meistens aus den Schülern. Bootsmann oder -frau wurden junge Menschen, die das Segelhandwerk praktisch erleben und alle Tätigkeiten an Bord mitverantwortlich tragen wollten. Dabei bilden die schon länger an Bord Arbeitenden die frisch Dazugekommenen aus. Jeweils zwei Bootsleute begleiten die Platessa; eventuell kommt noch ein Moses, d.h. ein Schiffsjunge oder -mädchen, dazu. Die jungen Menschen fühlen sich auf der Platessa zu Hause. Ihre Bootsleute sind auch auf den anderen Traditionsschiffen gern gesehen und werden öfters mal „ausgeliehen“. Kompetente und selbständig agierende Bootsleute werden sonst kaum noch ausgebildet.

Unter langjähriger Führung von Ewald Huß haben sich die Eckernförder Traditionsschiffer lose zusammengeschlossen und vertreten so ihre Interessen gegenüber der Öffentlichkeit und den Behörden. Es flattert der Schriftzug ECKERNFÖRDE auf einer schönen blau-gelben Fahne überall im Wind, wo die Traditionsschiffe unterwegs sind.  Nebenbei nimmt Huß auch junge Menschen mit massiven Problemen in Einzelbetreuung an Bord. Die enge und streng geregelte Gemeinschaft auf einem Schiff mit den vielfältigen Aufgaben, die sich aus der Seefahrt ergeben, hilft ihnen, wieder und anders zu sich zu finden und neue Lebensperspektiven und Ziele zu entwickeln. Inzwischen wird die Platessa schon im zehnten Jahr von Ewald Huß gesteuert. Hierbei kann er alles anwenden, was er in seinem wechselvollen Leben gelernt hat.

Aber…wäre Ewald Huß er selbst, wenn er nicht bereits neue Pläne hätte? Deshalb sucht er für die Platessa einen erfahrenen Nachfolger, der Schiff und Idee übernehmen möchte und kann.

Was macht ein Skipper im Winter?

Für Huß fängt dieser erst im Januar an. Zu Sivester gibt es noch einen Törn für die ganz harten Mitsegler, die sich durch kalte Winde und Eiszapfen im Bart nicht schrecken lassen. Dann geht das Boot in die Werft, die technischen Anlagen und der äußere Rumpf werden begutachtet und dort, wo es Not tut, erneuert oder repariert. Dann hat der Seebär etwas mehr Zeit, seine plattdeutschen Geschichten aufzuschreiben und im Freundeskreis oder öffentlich vorzutragen. Für seine Heimatstadt Eckernförde engagiert er sich außer bei den „Traditionsschiffern“ auch im „Hafenkreis“(ein Vereinsname???) und im „Altstadtverein“. Donnerstags trifft man dann den Seebären vorzugsweise bei den Künstlern & Chaoten, die zu einem kreativen Stammtisch zusammenkommen. Mit Menschen aus diesem Kreis entwickelte er 2004 die Idee eines Flaschenpostseeamtes für Eckernförde (www.Flaschenpostsee.de). Im Winterhalbjahr, oder wann auch immer er am ersten Sonntag des Monats in Eckernförde ist, kommt Ewald Huß zu Marianne Tralau in die „Frühstücksbühne“. Dort wird in geselliger Runde gemeinsam gefrühstückt, wobei jeder der Anwesenden etwas zum Kleinkunstprogramm beiträgt. Für kulturelle oder künstlerische Veranstaltungen kann sich Ewald immer wieder begeistern, und oft sitzt er auch „einfach mal so“ mit dem breit gefächerten Künstlervolk der Ostseestadt in einer der vielen Kneipen und spinnt verrückte Ideen oder Seemannsgarn. Auch in der „Seniorenredaktion“ der Eckernförder Zeitung macht Huß mit und erfreut die Leser mit seinen pfiffigen plattdeutschen Geschichten. Diese sind teilweise auch in der Eckernförder Literatursammlung „Strandgut“ und in einem Heftchen des „fognin Verlag“ veröffentlicht.

In den Osterferien treffen dann bereits wieder viele junge Menschen aus ganz Deutschland in Eckernförde ein, um die Platessa für den Sommer auf Vordermann zu bringen; denn im April starten die ersten Fahrten. Viele der Gruppen, die auf der Platessa Segelabenteuer suchen, kommen immer wieder.

In Eckernförde ist Ewald bekannt wie ein bunter Huß, und auch er kennt alle. „Die Stadt ist überschaubar und ich mag sie einfach“, beschreibt er das Verhältnis lakonisch.

Hut ab vor Ewald; der hat jeden seiner Träume (für sich und andere) gelebt!!!!!

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