Bennie geht in die Fremde

Geselle geht in die Fremde

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Nicht alltäglich: Die Verabschiedung eines Gesellen, der mit einem Schachtbruder sich auf die Wanderschaft begibt. 3 Jahre und einen Tag, dass ist der Zeitraum in dem Geselle Benjamin Schulte die Bannmeile rund um Eckernförde nicht mehr betreten darf. Benni, vielen auch bekannt von dem Musikduo Caldera, ist gleich doppelt Geselle: Zimmermann und Holzbildhauer hat er mit dem Gesellenbrief abgeschlossen. Aber die Ausbildung soll weitergehen, noch viel gibt es in den Berufen zu lernen. Bei einem Gesellentreffen hat er den fremden Gesellen Dominik Thier kennengelernt, der versprach ihn als „Exportgeselle“ in die Fremde zu bringen. Allerdings war Dominik erst mal auf den Philippinen verabredet. Der zukünftige Reisebegleiter trägt eine blaue Ehrbarkeit – ein Zeichen seiner Zugehörigkeit zum Gesellenschacht der Rolandsbrüder. Eine goldene Nadel zeigte sein Gewerk – auch er ist Zimmermann.

Am Wochenende war es dann soweit. Beni Schulte hatte inzwischen seine Kluft vervollständigt, sein Hab- und Gut veräussert oder untergestellt und seine Wohnung gekündigt. Ein fahrender Geselle auf Tippelei, wie die Walz traditionell heisst, hat nur wenige Dinge dabei und verabschiedet sich weitgehend von den Bestandteilen der heutigen Zivilisation wie Handy, Computer und sonstigen Verbindungen zum „alten“ Leben. Im Utgard an der Hafenspitze wimmelte es am Sonntag von einer seltsamen Mischung an Leuten. Viele Gesellen in Kluft, fremdgeschriebene wie Einheimische fallen zuerst auf. Dazwischen die Familie und ganz viele Freunde. Das auch viele Musiker und andere Künstlerkollegen anwesend waren, erhöht die Buntheit des Bildes. Zwischen Kuchen, Pizza und Bier werden Freundschaften gefestigt und neu geschlossen und die Unwissenden über die vielen Rituale der Gesellen aufgeklärt. So werden die zivilen Klamotten des die Wanderschaft antretenden Gesellen versteigert, um einen Teil der immensen Kosten des Festes zu bezahlen. Spät in der Nacht wird Benni dann „genagelt“: Den Kopf auf einen der Kneipentische gelegt, wird ihm ein Nagel durch das Ohrläppchen getrieben. Während er am Tisch festhängt nimmt ihn sein Begleiter das Versprechen ab, einen Charlottenburger zu gestalten. Benni verspricht, der Nagel wird durch einen Ohrring ersetzt. Dieser sollt in vergangenen Zeiten die Kosten für die Beerdigung decken, heute ist da wohl nur der Brauch übriggeblieben. Die Nacht für die Gesellen ist noch lang und Bier und anderer Alkohol spielt bei den Zunftbräuchen keine unwesentliche Rolle. Diese sind aber geheim, so bleibt das Nachdunkel über den Geschehen.

Am Sonntag geht es dann los. Der letzte Teil der Traditionen den die Einheimischen mitbekommen spielt sich am Ortsschild ab. Mittags sammelt sich die Mannschaft vom Tag davor am Ortsausgang Richtung Rendsburg. Zuerst muss Benjamin ein Loch graben. Ein tiefes Losch, ca. 1,20 M, dort wird eine Flasche Schnaps auf ihn warten, wenn er in mind. 3 Jahren zurückkehrt. Das Graben dauert, es wird entweder mit dem Stenz oder mit einem einfachen Holzlöffel gegraben, der Schweiss mischt sich mit dem leichten Regen und der Geselle muss anschliessend erst mal tüchtig abgeklopft und mit Bier gestärkt werden. Jetzt geht es ans verabschieden: Eltern, Geschwister und die vielen Freunde werden ein letztes Mal umarmt. Der Abschied scheint dem jungen Gesellen, der sich bereits mit einheimischen Bier tüchtig gestärkt hat, sichtbar schwer – es werden viele letzte Abschiede daraus.
Aber die Gesellen, die Benjamin auf den Weg aus der Bannmeile heraus bringen wollen, zeigen leicht Ungeduld: Herauf auf das Ortsschild, ein letzter Blick zurück und los. Zuerst fliegt der Charlottenburger im hohen Bogen über das Ortsschild. Nur gut das ausser Schlafsack, wenigen persönlichen Gegenständen, nur etwas Wäsche und eine zweite Kluft, nichts zerbrechliches vorhanden ist. Dem Hammer wird es nicht geschadet haben, hart auf auf dem Weg aufgekommen zu sein. Mutig erklimmt Beni das wacklige Ortsschild, das ruhig etwas fester eingegraben werden dürfte, um sich rittlings daraufzusetzen und einen letzten Blick zurück auf seine Heimatstadt zu werfen. Danach wird sich dann nicht mehr umgedreht, die Fremde wartet. Aber das letzte, allerletzte und allerallerletzte Anstossen mit den Freunden fordert wohl einen Tribut. So schnell der Aufstieg, so zügig das, nennen wir es mal „absegeln“ hinunter. Schneller als die empfangsbereiten Gesellen auf der anderen Seite ihn auffangen können, liegt Benni über der Stadtgrenze. Johlendes Gelächter begleitet ihn auf seinen ersten wackeligen Schritten in die Fremde…

Kleines zünftiges Wörterbuch

Bannmeile

Umkreis in dem sich der Fremde Geselle nicht mehr blicken lassen darf, während er auf Tippelei ist. Zwischen 50-60 km. Wird in die Wanderkarte eingetragen.

Charlottenburger

Ein 80X 80 cm grosses Tuch , meist mit Insignien des Handwerks oder Schachts bedruck, in dem das ganze Hab und Gut des fremden Gesellen eingerollt ist.

Ehrbarkeit

eine Art gehäkelter Schlips, dessen Farbe den Schacht des Gesellen verrät. Die Rolandsbrüder tragen ihn in blau.

Fremdgeschrieben

Ein Geselle auf der Walz ist fremdgeschrieben. Ortsansässige Gesellen nach der Wanderschaft sind Einheimische.

fremder Geselle

besser noch: ehrbare fremde Gesellen sind alle Handwerker die in Kluft arbeitend sich durch die Welt bewegen. Sie geniessen meist ein hohes Ansehen, da ihre Schächte ihnen gutes Benehmen und anständiges Auftreten abverlangen. Schliesslich soll auch der nächste Geselle einen Schlafplatz und eine Mahlzeit wieder gewährt werden.

Kluft

die traditionelle Kleidung der Gesellen. Stammt aus dem Baubereich, wird aber inzwischen in verschiedenen Farben von allen fremden Gesellen getragen. Besteht aus dem Hut (sehr wichtig und wird nur seltenst abgenommen), der Staude, einem kragenlosen weissen Hemd, der Weste mit breiten Knöpfen aus Manchester oder Samt, der Jacke aus dem gleichen Stoff und mit mit unzähligen Taschen, auch hier 6 breite Knöpfe. Die „Zimmermannshose“ ist sprichwörtlich, der doppellte Reisverschluss und breite Schlag sind die Kennzeichen. Perfekt ist der Geselle aber erst mit festen Schuhen, Ehrbarkeit und Ohrring.

Rolandsbrüder

Ein Zusammenschluss von Gesellen die 1881 von fremden (Bremer) Gesellen in Nürnberg gegründet wurden. Ihre Ehrbarkeit ist blau und sie fühlen besonders dem Freiheitsgedanken und der Brüderlichkeit verpflichtet. Alle Gesellen sind Mitglied einer Gewerkschaft. Reisende Gesellen werden erst nach einigen Monaten in den Schacht aufgenommen, vorher dürfen sie die Wanderschaft noch abbrechen.

Schacht

Zusammenschluss von Gesellen, meist auch wandernden Gesellen. Es gibt in Europa sehr verschiedene Schächte, manche sind zusammengeschlossen. Fremde Gesellen sollten sich auf Tippelei immer helfen, schachtübergreifend.

Stenz

Der kräftige, oft gewundene Wanderstab, den fremden Gesellen manchmal mitführen.

Tippelei

ein aus dem rotwelschen stammender zünftiger Begriff für die

Walz

volkstümlicher Ausdruck für die Reisezeit der fremden Gesellen.

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