Brief an eine Behörde

Sehr geehrter Herr vom Amt,

Sie haben mir einen Brief geschrieben. In diesem Brief fragen Sie: „Wovon Leben Sie eigentlich?“, so verstehe ich den Brief jedenfalls.
Ich weiß nicht, ob ich Ihnen in ihrem Sinne antworten kann. Ich werde es versuchen. Vielleicht verstehen wir uns, auch wenn es sein könnte, das unterschiedliche Welten aufeinandertreffen.

Für mich geht die Frage viel viel weiter, als sich durch materielle Aspekte des Daseins ausdrücken lässt. Zahlen sind ein Teil unseres Lebens, sie sagen über uns etwas aus. Mir sagen sie immer weniger. Das ist ein Versagen, ich weiß. Vielleicht liegt es am Alter. Früher hatte ich zu Zahlen noch ein unverkrampfteres Verhältnis, inzwischen irritieren sie mich. Bestenfalls.

Wovon lebe ich? Materiell gesehen, kann ich diese Frage nicht beantworten. Jedenfalls wenn ich ehrlich bleibe. Und das möchte ich schon gerne. Vielleicht fangen wir lieber mit ihrer Frage an: Was mache ich?

Ich habe „Kreative Dienstleistungen“ in dem Formular als Art meiner Tätigkeit angegeben. Das ist ein Zusammenzug all der vielen Arbeiten, die ich mache, auch um wirtschaftlich zu überleben. Ich habe einen Verlag. Es ist ein kleiner Verlag, mit nur wenigen Büchern. Es sind vier bis fünf Bücher, die lieferbar sind. Mal ist ein Titel vergriffen, mal kommt einer dazu, das ist schon seltener. Die Bücher werden durch die Autoren bezahlt, die alle aus meinem nahen Umfeld stammen.

Außerdem fotografiere ich. Ich mache Bilder mit der Kamera, die ich als künstlerische Interpretationen des Lebens erlebe. Andere finden diese oft komisch, abstrakt, ungewöhnlich oder seltsam. Wenn es sich nicht um einen Auftrag handelt, also fast immer, stelle ich die Bilder im Internet aus oder ich hänge sie an der Wand in unserem Hinterhof aus.

Ich bin auch Galerist. Vor zwei Jahren habe ich Schienen an die Hof-Wände geschraubt und dort meine Bilder hineingeschoben. Es wurde eine kleine Galerie, sie nennt sich „HofART“. Wenn es gut geht, wechsele ich ein- bis zwei Mal im Jahr die Bilder aus. Der Hof ist öffentlich zugänglich, die Einheimischen und die vielen Touristen im Sommer schauen sich meine Bilder an. Am Ende der Galerie hängt ein kleiner Kasten. In dem kann man etwas hineinschmeißen, wenn man meine Arbeit honorieren möchte.

Natürlich mache ich auch, wenn es gewünscht wird, konventionelle Fotos. Das ist eher seltener der Fall. Ich mache diese Bilder, glaube ich, auch nicht wirklich gut. Es gibt viele Fotographen die handwerklich viel besser sind. Meine Fähigkeit liegt wohl mehr darin, Stimmungen aufzunehmen und Erlebnisse zu fotografieren als die Menschen möglichst vorteilhaft wiederzugeben.

Ich gestalte auch Webseiten. Meistens für kreative Menschen. Da meine technischen Fähigkeiten in diesem Bereich beschränkt sind – ich arbeite ganz klassisch mit HTML, der Beschreibungssprache für Webseiten. Damit sind viele bunte Effekte, wie sie die meisten Seiten im Internet gerne und viel benutzen, nicht möglich. Wer sich von mir eine Seite gestalten lässt, möchte diese meist schlicht und in einer bestimmten Stimmung. Die Auftritte sollen eine Ausstrahlung haben und Inhalte transportieren, nicht unbedingt unterhaltsam und aufregend sein. Außer für einige Künstler gestalte ich auch einige Seiten aus eigenem Antrieb heraus. Natürlich die Seite meines Verlags (www.mmeck.de) und meine „Portalseite“ die zu den Auftritten in meinem Umfeld weisst (www.fognin.net). Dazu kommen, auch schon über viele Jahre, Seiten, die ich als Dienstleistung für viele Menschen verstehe, auch wenn sich für mich meist kein wirtschaftlicher Vorteil daraus erschließt. Da ist der geheimnisvolle Graf Saint Germain (www.st-germain.de), der seine letzten Lebensjahre in Eckernförde verbrachte und hier in der St.-Nicolai-Kirche beerdigt worden sein soll. Schon zu Lebzeiten war der Graf umstritten, heute setzt sich das immer noch fort. Während die Einen diese Person als Fabelwesen ansehen, finden andere, er war ein Blender und Schurke und weitere verehren ihn als „aufgestiegenen Meister“, eine Art Heilsbringer und Heiliger. Meine Frau hat ein Buch über die heutigen Reflexionen über den Graf von Saint Germain geschrieben, das ich in meinen Verlag veröffentlichte. Da es inzwischen vergriffen ist, biete ich es als digitale Ausgabe über meine Verlagsseiten an.

Eine weitere, mir sehr wichtige Internet-Seite ist dem Dichter Paul Scheerbart gewidmet (www.scheerbart.de), der seiner Zeit weit voraus war, sehr groteske Texte schrieb und Zeichnungen anfertigte. Er ist wohl ein Miterfinder der fantastischen Literatur, hat eine „revolutionäre Theaterbibliothek“ geschrieben und die Glasbaukunst theoretisch ermöglicht. Daneben war er mit Richard Dehmel befreundet und kannte praktisch alle Geistesgrößen seiner Zeit. Wie schon bei der St.-Germain-Seite bemühe ich mich, keine Wertung zu publizieren, sondern die Persönlichkeiten und ihre Werke dazustellen. Urteilen kann der Leser. Bei Paul Scheerbart habe ich praktische jedes Buch von ihm, das für mich erreichbar war, eingescannt und in Text umgewandelt. So ist eine sehr umfassende Materialsammlung entstanden. Leider ist sie nicht vollständig, da es viele seltene Bücher von Paul Scheerbart gibt und diese sehr teuer sind. Durch diese Internetseite bekomme ich öfters ein Feedback, es gibt also noch mehr Menschen, die sich an Scheerbart erfreuen und manchmal reicht diese Freude für eine Mail.

Eine weitere Internet-Seite, mit mehr gemeinnützigen Hintergrund, nennt sich so wie ein Verein, den ich mitbegründet habe und sich der Kultur unserer Stadt widmet: Eckkult.de. Hier präsentieren sich eine Vielzahl von Kulturschaffenden, die für sich selbst einen Bezug zu Eckernförde reklamieren. Jeder der sich als Künstler oder Kreativer in diesem Umfeld fühlt, darf eigenverantwortlich mitmachen und sich dort präsentieren.

Für mich ist, auch durch die Bekannt- und teilweise Freundschaft mit den sehr zahlreichen Kreativen, Eckernförde eine Hauptstadt der Kultur.

Leider hat diesen Aspekt der Ostseestadt weder die Politik, das Stadtmarketing noch die Verwaltung wirklich aufgegriffen. Ohne durch Vernetzung und andere Anreize dieses Potential zu strukturieren und zu erschließen, wird es der Allgemeinheit nur wenig nützen und auch nicht zu einem eventuell nützlichen Kulturtourismus führen. Diese Tatsache ist mit ein Grund, warum ich bei den nächsten Kommunalwahlen kandidieren werde.

Neben den klassischen Internet-Seiten betreibe ich auch einige Blogs (einfache vorstrukturierte Webseiten) über die ich meine Texte, meine Bilder aber auch Kulturveranstaltung Anderer publiziere. Man kann diese Blogs, wenn man so will, als Werbung bezeichnen. Für mich sind sie mehr ein Medium, um Interesse an Kultur zu wecken und diese Inhalte der Diskussion zuzuführen. Meinen eigenen Arbeiten ist der Blog https://fogn.in/ gewidmet, eigene und auch Texte und Bilder von verschiedenen Künstlern sind unter dem Titel „5 Minuten Kultur täglich“ auf dieser Seite zu finden https://fogn.in/. Zusammengefasst wird auf https://blogg.eckkult.de/, hier landen auch Veranstaltungshinweise die mich per Mail erreichen.

Ein ganz anderer Aspekt meiner Tätigkeiten ist meine Arbeit für die Presse. Momentan ist es hauptsächlich die Eckernförder Zeitung, für die ich schreibe. Meistens über Kulturveranstaltungen in unserer Stadt, seltener auch über andere Ereignisse.
Zeitweise schreibe ich auch für ganz andere Auftraggeber, dies ist aber nur punktuell der Fall. Meist sind solche Aufträge auch mit Fotos verbunden, so das sich die Bereiche etwas mischen.

img_20180731_085953Manchmal ergibt sich aus solchen Aufträgen auch ein weiterer Bereich. Ich gestalte auch Texte und Bilder zu Drucksachen. Bei den Büchern ist es klar, da mache ich Alles zusammen, bis das Buch druckfertig ist. Aber auch Broschüren, Plakate und sogar ganze Zeitungen mache ich druckfertig. Oft ist das eine Zusammenfassung meiner Tätigkeiten, wenn eigene Bilder und Texte druckfertig gemacht werden und sogar ambitioniert gestaltet werden. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, wie Postkarten, die realisiert werden. In anderen Fällen ist auch nur meine Tätigkeit als Grafiker gefragt, wenn es darum geht, aus vorgegebenen Materialien Plakate oder Prospekte druckfertig zu machen. Die Druckkosten laufen dann manchmal bei mir durch, ich verdiene dabei nur an meiner Arbeit.

Vielleicht sollte ich hier auch einen sehr wichtigen Aspekt einfügen: die innere Haltung. Ich kann zwischen Arbeit und Erwerbsarbeit nicht trennen. Und ich will es auch nicht. Wenn ein Jugendlicher oder ein ebenfalls eher armer Künstler zu mir kommt und einen Bereich meiner Fähigkeiten gerne in Anspruch nehmen möchte, mache ich dies. Ich gestalte etwas, fotografiere oder schreibe. Wenn Sachkosten, wie zum Beispiel Druckkosten entstehen, muss der Auftraggeber diese bezahlen. Ob er meine Arbeit bezahlt, liegt in seinem Ermessen und Vermögen. Das kenne ich nicht und ich fühle mich auch nicht berechtigt, dieses zu hinterfragen. Eine wesentliche Erfahrung, die auch meiner Überzeugung entspricht, ist: Es gleicht sich alle im Leben aus. Vielleicht brauche ich die Hilfe des Jugendlichen, wenn mein Roller eine Problem hat. Oder an einer anderen (meist zukünftigen) Stelle unseres Lebens. Mich selbst haben Erlebnisse in meiner Jugend sehr geprägt, in denen Freunde für mich umfassend gesorgt haben, ohne auf eine materielle Reaktion von mir zu spekulieren. Für mich wird so das Leben etwas humaner, freundlicher und für alle Beteiligten lebenswerter. Ein Aspekt, der hier sicherlich zu weit gehen würde, ist der, das dies meist nur mit Menschen geht, die materiell nicht so gut ausgestattet sind. Sie begreifen die Spielregeln und wissen, dass sie die Verpflichtung haben, Jemanden etwas von Ihren Möglichkeiten abzugeben. Leute die Geld genug haben, wollen lieber auch damit bezahlen, denn sie drückt weniger Not und damit verstehen sie häufig nicht, die Bedürfnisse anderer zu berücksichtigen.

Was mich immer wieder verwundert, ist die Unterstützung, die mir aus meinem Umfeld zukommt. Alle die mich kennen wissen, dass ich materiell eingeschränkt lebe. Und vielen reagieren darauf. Es gibt junge Leute, die als Schüler oder Auszubildende nicht gerade reich sind und zu mir kommen, damit wir gemeinsam kochen. Dabei bringen sie dann genügend Lebensmittel mit, das reicht meist für mehre Tage. Andere Freunde kommen vom Markt, um schnell mal eine große Tüte mit frischen Gemüse bei mir zu parken. Eine Freundin, wir trinken fast täglich zusammen Kaffee, bringt diesen als ganze Bohnen mit, natürlich können wir, ich und alle anderen, die mich besuchen, davon profitieren. Es sind sehr verschiedene und sehr viele Menschen, die durch kleinere oder grössere Geschenke zeigen, dass ihnen etwas an mir liegt. Als die Gefahr bestand, dass bei mir der Strom abgedreht wird, hat jemand aus meinem Umfeld großzügig bei den Stadtwerken auf mein Konto eingezahlt. Es war ein Wunder. Aber ohne Strom ist mir jegliche Verdienstmöglichkeit genommen. Es sind überraschend viele Mitmenschen, die mich unterstützen. Für mich rührend ist, wie sich damit das Interesse an meiner Person und/oder an meiner Arbeit ausdrückt. Die oben angedeutet Idee, das sich alles im Leben irgendwie ausgleicht, wird damit bestätigt. Warum sollte ich so kleinlich sein und erwarten, dass der Ausgleich durch die selben Menschen passiert? Ich helfe auf einem Gebiet und mir hilft jemand ganz anderes in einem vollkommen anderen Bereich. Dieser Ansatz hat etwas märchenhaftes an sich und funktioniert auch nur bedingt, und doch steckt für mich viel Wahrheit in ihm. Es für mich viel schwieriger, etwas anzunehmen, als etwas wegzugeben. Wenn keine Alternative besteht, bzw. der Druck sehr hoch ist, gelingt es mir, auch schnell zu lernen…

img_20180731_091420Leider führen diese Defizite bei den Einnahmen natürlich auch zu Schulden. Zum einen müssen meine Miete und die ständig steigenden Energiekosten bezahlt werden. Zum Anderem benötigte ich für jede Idee, die die finanzielle Misere verbessern soll, auch Ausgaben. Ohne dass ich Fotografien auch physisch zeigen kann, werde ich keine verkaufen. Das gilt in allen Bereichen: Ich muss etwas anbieten, das die potentiellen Kunden auch sehen können. Ob diese Rechnung dann aufgeht, ist leider sehr unbestimmt. Auch wenn ich eine Werbekarte gestalte, in der ich meine Fähigkeiten anbiete, bleibt es unbeweisbar, ob sie etwas „bringt“. Jedenfalls muss bezahlt werden, das ist zumindest ganz sicher. …. Ich werde in diesem neuen Jahr ernsthaft versuchen müssen, als „Aufstocker“ ALG II zu beantragen. Bisher habe ich immer versucht nur mit Hilfen zu leben, die gerne und freiwillig gegeben wurden. Die staatlichen Transferleistungen sind mit vielen bürokratischen, und wie ich finde, entwürdigenden Einschränkungen verbunden. Wie ich bei anderen Betroffenen mitbekommen habe, wird durch den gewaltigen bürokratischen Aufwand, der den Beziehenden auferlegt wird, viel Kraft gebunden. Ob diese mir dann auch fehlt, kann ich nicht behaupten, ohne es probiert zu haben. Aber mir macht die Antragstellung Angst. Bürokratie und Formulare sind für mich eine eine unheimliche graue Wand, von der ich das Gefühl habe, sie lähmt mich vollkommen. Für einen Beamten beim Finanzamt sind das bestimmt befremdliche Sätze, aber ich erlebe das leider so. Wir Menschen sind verschiedenen und ich bewundere Menschen, die über einen stärkeren „praktischen Sinn“ verfügen als ich. Leider sind in meinem Umfeld auch kaum, oder vielleicht auch gar keine Menschen, die mich bei der Wanderung durch die graue Wand aus Zahlen, Formularen und Vorschriften helfen können. Ich werde es trotzdem in Angriff nehmen müssen…

 


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