Neue Musik*

fognin schreibt über Neue Musik

 

28. 02. 2013  ein Text des Eckernförder Künstlers fognin veröffentlicht bei Schreibzwang - dem Institut für das gebildete Wort

Provinzlärm 2013 1. Tag

Zum vierten mal erschallt in Eckernförde Provinzlärm. Der Titel des Festivals neuer Musik, angelehnt an den Roman von Wilhelm Lehmann hat wohl Signalwirkung. Bevor der erste „neue Ton“ zum erklingen kam, wurde bei dem Eröffnungskonzert am Donnerstag reichlich gegrüsst. Vom Partnerland Polen brachte Marek Sorgowicki, stellvertretender Generalkonsul, die besten Wünsche. Ein klein bisschen Stolz klang in seiner Rede durch, das sein Land so stark mit Schleswig-Holstein kulturell verbunden ist. Vom Kultusministerium war Dr. Eberhard Schmidt-Elsaeßer erschienen um die Bedeutung der neuen Musik und des Festivals als Kulturbotschaften zu betonen. Wichtige Impulse für die deutsch-polnische Zusammenarbeit konnte er erkennen und bescheinigte den Initiatoren, eine Richtungsweisende Entwicklung von überregionaler Bedeutung in Gang gesetzt zu haben. Ein deutliches, aber ansonsten stilles Zeichen von der Besonderheit des Geschehens in der Eckernförder Nicolaikirche verkündete der grosse Wagen vor der Tür: Der Deutschlandfunk bannte das Konzert auf seine Bänder. Die Übertragung wird wohl im September stattfinden.

Das zahlreiche Publikum war aber wegen der Musik gekommen, oder auch angezogen durch die Qualität der Ensemble. Als erster Stargast trat das Ensemble Kwartludium auf. Von Polen aus agierend, zieren viele Internationale Auftritte und Erfolge die Biographie der 2002 gegründeten Gruppe. In der Besetzung mit Dagna Sadkowska (Violine), Michał Górczyński (Klarinette, Bassklarinette), Paweł Nowicki (Percussion) und Piotr Nowicki (Piano) eröffneten sie das Festival mit „Torpor“ (2008) von Wojtek Blecharz. Das Werk, extra für das Ensemble Kwartludium geschrieben, setzt sich mit körperlicher und geistiger Untätigkeit auseinander. Anstatt, wie die Beschreibung vielleicht vermuten lässt, getragene und träge Begrüssungsklänge, kam das Stück ausgesprochen flott und motivierend rüber und zeigte schon deutlich die temperamentvolle Spielfreude der Interpreten.

Durch Wojziech Ziemowit Zychs Werk, „Stale obecna tęsknota“ (2005), konnte diese noch gesteigert werden. Der deutsche Titel heisst in etwa „Immer da voll Sehnsucht“ und wurde von den Musikern und dem Komponisten gemeinsam entwickelt. Beindruckend in dem aus drei Sätzen bestehenden Werk die Spieltechnik der Bassklarinette und der sich daraus ergebende Gesamtklang.

Abschliessender Höhepunkt des Eröffnungsauftrittes wurde das Werk „Medeas Träume“ (2008)“ des anwesenden Komponisten Dariusz Przybylski. Das Stück, auch dieses wurde für die Interpreten geschrieben, überraschte durch seine Präsenz und Nähe und zeigte, wie zeitgenössische Musik schnell und unmittelbar den Kontakt zu den Zuhörern findet.

Der zweite Teil des Abends wurde von dem heimischen Ensemble Reflexion K bestritten das in wechselnder Besetzung mit bis zu 13 Musikern unter der Leitung von Gerald Eckert auftrat.

Jacub Sarwas „Three-O“ (2005) für Flöte Klarinette und Viola wurde gefolgt von dem Werk „Avant voyage“ (2011) des anwesenden Komponisten Asko Hyvärinen. Beide Werke wurden in der bekannt ausgefeilten und hervorragenden Spielweise des Ensembles eindrucksvoll zu Gehör gebracht. Das Konzert schloss mit einem besonderen Werk: Ianis Xenakis 1997 komponiertes Stück „Akanthos“ für Sopran und Ensemble. Gewaltig, mit einem wunderbaren als Stimme voll in den Instrumentenkreis integrierten Sopran erklang das Musikwerk sehr voluminös und begeisterte das Publikum. Hervorragende Interpreten, ausgesuchte Stücke und ein ergiebiges, aber musikalisch durchaus noch erforschungswertes Schwerpunktland, das ist das Fazit des ersten der drei Tage mit Neuer Musik.

 

Am heutigen Sonnabend klingt das Festival mit zwei Konzerten aus: Um 18.00 Uhr im Konzert 4 gibt es Werke von Bartłomiej Pękiel († 1670), unserem Eckernförder Komponisten Gerald Eckert („Nen X“, mit Tanz von Mikael Honnesseau). Und eine Messe von Marcin Leopolita (um 1540 – 1589)

Am Abend um 20 Uhr beginnt das Schlusskonzert mit Werken von Sławomir Wojciechowski, Enno Poppe, Joanna Wozny und Iannis Xenakis.Es spielen die Ensemble Kwartludium (PL) und reflexion K (D) und das Perkussionensemble der Musikhochschule Lübeck. Alle Konzerte wie immer in der St-Nicolaikirche. (fst)


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Provinzlärm 2013 2. Tag

Am zweiten Tag des Festivals für Neue Musik Provinzlärm dominierte die gewaltige Heßler-Orgel der St-Nicolai-Kirche. Die rund 2500 Pfeifen wurden Nachmittags von dem Komponisten und Organisten Dariusz Przybylski gespielt. Unter dem Titel „Orgel-Odyssée“ wurden acht Werke für Orgel vorgestellt, die im engen thematischen Zusammenhang mit der Odyssee von Homer stehen.

Die Idee acht Komponisten aus Südkorea, Großbritannien, Deutschland, Weißrussland, der Ukraine und Polen zu bitten zu den klassischen Texten Homers Orgelwerke zu komponieren stammt von Przybylski. Jeder der Komponisten hat eine eigene Idee von zeitgenössischer Orgelmusik, jeder handhabt das immense Klangspektrum dieses Großinstrumentes vollkommen anders. So entsteht eine Zusammenschau moderner Orgelmusik die in ihrer Verschiedenheit beeindruckt.

Geeint wurden die Werke von Przybylski, Chang, Yaskou, Bernardy, Campkin, Szmytka, Sehin und Opałka durch das sowohl klassische als auch zeitlose Werk Homers. Die Odyssee, die die Abenteuer des Königs Odysseus von Ithaka und seiner Gefährten auf der Heimkehr aus dem Trojanischen Krieg schildert, gehört in fast allen Ländern des Abendlands zu der Grundlage einer umfassenden Bildung.

Knut Kammholz rezitierte mit seiner klaren und deutlichen Aussprache zwischen den musikalischen Einzelstücken Fragmente aus der grossen Dichtung. Diese Nachmittagsvorstellung stellte nicht nur musikalisch eine beindruckende Bildungsreise da und kann und soll durchaus als ein völkerverständigendes Signal verstanden werden.

Den Abend eröffnete wiederum die Orgel, diesmal mit der Eckernförder Musikdirektorin Katja Kanowski an den Manualen und Pedalen. Von Olivier Messiaen erklang gewaltig „L’apparition de l’eglise eternelle“ von 1932. Die umfassende Klangfülle und der musikalische Druck dieses meisterlich interpretierten Werkes kontrastierte auffallend mit dem zweiten Stück des Abendkonzertes.

Auch bei der Kantate für Chor, Solisten und großes Ensemble „mehr als der Sand…  – Wege“ von Gerald Eckert war Katja Kanowski bindendes Glied. Bei allen Beteiligten musikalischen Gruppierungen nimmt sie zu Recht eine hervorragende Stelle ein. Der von ihr geleitete Chor der Kantorei St. Nicolai Eckernförde zeigte einen feinen Umgang mit vielleicht ansonsten ungewohnten Tönen und offenbarte viel Sensibilität und Einfühlungsvermögen mit diesen Werk, dass ausschliesslich zarte und schwebende Chorgesangspassagen zu bieten hatte. Die Solostellen wurden gesanglich gemeistert von dem ensemble voces berlin. Diese Formation in Eckernförde besten bekannt und beliebt, besteht aus Karola Hausburg (Alt), Nicolaus, H. Smith (Tenor), Sebastian Schwarze (Bass), Christopher Adams (Bass) – und der Mitbegründerin Katja Kanowski (Sopran).

In grosser Besetzung musizierte das ensemble reflexion K, so dass der zur Bühne umfunktionierte Altarraum rammelvoll war. Zumal der Deutschlandfunk jeden freien Raum mit einer Unzahl von Mikrophonen beflastert hatte.

 

Genau dieser Radiosender war auch der Einzige, der Probleme mit dem eindrucksvollen Werk von Gerald Eckert hatte. Dieses bewegte sich knapp über der Hörgrenze, erzeugte so eine intensive und beanspruchende Stimmung und nahm das Publikum auf eine meditative Reise mit. Was für technische Geräte vielleicht schwierig aufzunehmen war, wurde von den umfassenderen menschlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten um so deutlicher und intensiver aufgenommen. Die Äusserlichkeiten des Konzert waren beeindruckend: absolute Stille ausserhalb des musikalischen Geschehens, präzise musikalische Töne, sowohl von den Instrumenten als auch von den Stimmen, liessen auf eine konzentriere Teilhabe Aller schliessen. Der Abend endete mit donnernden, nicht enden wollenden Applaus und die sichtlich geschafften Musiker wurden zu immer weiteren Verbeugungen gezwungen. Gerald Eckert zeigte mal wieder, das er als Komponist für aussergewöhnliche Klangerfahrungen sein Publikum einzubinden vermag. Und dem „heimlichen Star“ des Abends, Katja Kanowski, gilt ein herzlicher und grosser Dank. Nicht nur wegen ihres besonderen musikalischen Vermögens, sondern auch, dass sie mit unendlich viel Arbeit solch ein besonderes Konzert ermöglichte. (fst)       


02. 03. 2013

Provinzlärm 2013 3. Tag

Provinzlärm, das Neue Musikfestival in der Eckernförder startete am Abschlusstag nochmals richtig durch. Nachmittags erfreute das polnische Vokalensemble „Il Canto“ mit zwei gesungenen historischen Messen. Bartłomiej Pękiel († 1670) „Missa Brevis“ und Marcin Leopolita (um 1540 – 1589) „Missa Paschalis“ wurden als klar und rein gesungener Kontrapunkt zu dem sonst ja eher zeitgenössischen Programm gesetzt.

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Absolut modern im wörtlichen Sinne ist Prof. Gerald Eckert, Komponist aus Eckernförde mit derzeitigen Arbeitsplatz in Korea. Sein Werk von 2011 „Nen X“ für Tanz, Violoncello und Elektronik wurde auch von ihm am Cello interpretiert. Dazu kam eine ganz andere Interpretationsart: Mikael Honnesseau tanzte sehr eindrucksvoll im abgedunkelten Raum die Klänge und brachte damit eine dritte Dimension in die an sich schon sehr beeindruckende Musik.

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Der Anfang des abendlichen Schlusskonzert gehörte denjenigen die den Provinzlärm so begeisternd eröffneten: Das Ensemble Kwartludium aus dem Partnerland Polen. Temperamentvoll eröffneten sie mit Witold Lutosławski „Subito“ für Violine und Klavier. Das dieses druckvolle Formation es auch etwas ruhiger kann, zeigten sie in einer meditativen Improvisation. Ihren diesjährigen Auftritt rundeten sie dem Werk „rope of sands“ (2009) von Sławomir Wojciechowski gekonnt ab.

Der Rest des Abend gehörte dem ensemble reflexion K, einem Solo -und einem „Halbgast“. Zunächst gab es eine „Uraufführung der 2. Fassung“ von „mobile elements“ (2012) von Joanna Wozny in der die internationale Gruppe mit Wurzeln in Eckernförde nochmals ihre Weltklasse bestätigte. Als Solistin aus dem Ensemble Reflexion K lies die Saxophonistin Wardy Hamburg schier Unmögliches erklingen. Tristan Keuris „Canzone“ forderde die charmante Musikerin und ihr Altsaxophone ungemein. Ihr meisterliches Spiel wurde mit einem lange anhaltenden Applaus des Festivals Publikums zu recht belohnt.

Der Schluss des Abends, des Konzerts und des diesjährigen Provinzlärm Festivals wurde donnernd, tösend, und die Grundmauern der ehrwürdigen St.-Nicolai-Kirche erschütternd zelebriert. Der langjährige Schlagzeuger Percussionist des ensemble refleion K, Johannes Fischer, ist inzwischen Prof. an der Musikhochschule Lübeck. Mit fünf Studenten zusammen hatte er sich Iannis Xenakis „Persephassa“ (1969) für 6 Schlagzeuger vorgenommen. Jede freie Fläche im Kirchenraum war mit ausladenden Schlagzeugaufbauten gefüllt. Das vorgewarnte Publikum (Beatrix Wagner: „Sie dürfen sich ruhig die Ohren zuhalten, es wird laut“) erlebte einen ungeheuerlichen Dynamikumfang. Sechs Schlagzeuger können auch relativ zart, mit Glöckchen und feinen hohen Tönen, aber meistenteils und begeisternd, schmetterten die rhythmischen Kaskaden durch das ehrwürdige Kirchenschiff. Die alte Orgel fürchtete um ihre klangvolle Hausmacht und eventuelle Spinnweben wurden von der Decke gerüttelt. Musikalisch interessant und durchaus kein spektakulärer Spielkram hatte das Werk von Xenakis auch seine spielerischen Seiten. Furiose Trommelwirbel von Schlagzeug zu Schlagzeug weitergetrieben, stellten Kinorundumsound klar in den Schatten. Immer wieder liessen atemanhaltende Pausen die Spannung wieder ansteigen um dann in einer Salve von höllischem Sound sich erneut zu entladen. Teuflisch gut, wohlgemerkt. Mit diesem Prvinzlärm im wörtlichsten Sinne verabschiedete sich das Festival. Der lange, sehr lange, stehend dargebrachte Applaus galt bestimmt (und verdient) auch der Gesamtveranstaltung und nicht nur den jungen Schlagzeugern. Die Eckernförder Fans der Neuen Musik müssen sich bis zum 24. Mai gedulden, dann präsentiert ihnen das ensemble reflexion K wieder neue Töne undWerke aus Weissrussland. (fst)


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