Nekrolog

Diese Geschichte handelt von Büchern. Genauer von dem göttlichen Kern der Sprache und der Bücher: Von Worten und dem Raum, den man ihnen gibt.

Bücher sind ein wesentlicher Bestandteil meines Lebens. Bücher können vieles sein: Informationszentralen, Wellnesbäder für die Seele, Reisen in die unendlichen Inneren- und Äußeren Welten, Sammelobjekte, Tröster, Drogen, sinnliche Freuden edler Handwerkskunst, biographische Meilensteine und noch vieles mehr. Soviel kulturell angebundene Menschen es gibt, so viele Bilder über diese Wortsammlungen werden er- und gelebt. Für mich gilt alles ein bisschen. Aber Bücher sind für mich in erster Linie Literatur – Kunst in Worten.

Ein tiefes Gedicht in einem liebevoll gemachten Buch ist eine Sinfonie für die Seele: Der Geruch des Einbandes, das Gefühl des Papieres, der Klang der Worte und die Freiheit, die geliebten Zeilen jederzeit abzurufen. Wenn ich lese entferne ich mich aus meiner Welt und bin in den Welten der Geschichte. Schon als kleiner Junge habe ich meine Umwelt befremdet, indem ich irgendwo rumlag und herzhaft laut lachte oder bitterlich weinte. Das ist immer noch so, nur dass ich lieber allein lese als in Gegenwart anderer.

Beruflich und privat habe ich viel und andauernd etwas mit Büchern gemacht: Ich habe sie gehandelt, ge- und verkauft, erstellt und verlegt, geschleppt, sortiert, katalogisiert, geklaut und mir klauen lassen, geliehen und verliehen. Und gelesen, gelesen, aus ihnen rezitiert. Manches Buch habe ich still angebetet und wiegend in den Arm genommen: „Mein Schatz“. Ich habe einige Titel jahrelang gesucht und nachdem ich sie endlich auf seltsamen Wegen gefunden hatte, kam nach der überbordenden Freude die Ernüchterung. Nach dem Finden fehlte mir etwas.

Auch habe ich viele Räume kennengelernt, in denen sich die Worte aufhielten. Dunkle Verlagskeller, in denen der selbe Titel zehntausendfach lagerte, Wohnzimmer, in denen die Bücher viel über ihre Besitzer verrieten. Natürlich auch die Buchläden, in denen ich arbeitete oder einkaufte. Bibliotheken der unterschiedlichsten Art, von kalten Stadtbibliotheken mit ihrer zweckmäßigen Einrichtung über Universitätsbibliotheken, in denen neben endlosen Dissertationsreihen und mächtigen Forschungsbüchern auch kostbare, alte Folianten lagerten.

Auch die Sortierung der Werke erzählt eine Geschichte: Sind sie praktisch nach Sachgruppenalphabeth, nach Farben oder Grösse (in Wohnzimmern) oder nach geheimen unnachvollziehbaren Rhythmen sortiert? Eine besondere Bibliothek eines wohlhabenden Sammlers begeisterte mich: Die Erstausgaben waren nach Jahren aufgestellt und aus dem entsprechenden Zeitraum immer die wichtigsten Werke.

Ein Höhepunkt von Worträumen stellen Antiquariate da, in denen die Bücher gleich zwei Geschichten haben: Die, die sie erzählen und die, die sie erlebt haben. Wenn man den Büchern sehr gut zuhört, geben sie auch kleines Stück ihrer eigenen Geschichte preis. Es gab mal alte, verwinkelte Antiquariate, in denen der Buchgeruch Teil des Erlebnisses wurde. Überall Bücher: In den hohen Regalen, gerade stehend und quer liegend, zwischen den Regalen, auf allen waagerechten Flächen. Und was für Bücher: Schöne und alte, ein paar neue, etliche schon arg zerfleddert und dazwischen seltsame in unerklärlichen Sprachen. In diese Läden gehört ein alter Wicht, der leicht verärgert weil man ihm beim lesen stört, erst mürrisch – aber nach einem Gespräch, freundlich und beflissen durch seine Bücherstapel turnt, staubaufwirbelnd, um das richtige Werk zu finden. Das sind Gralsräume der Bücher, dort dürfen sie Leben und sich entfalten und nie wird sie eine unberufenen Hand berühren. Fragt Balthasar Bux, er hat es erlebt!

Bei meinen vielfältigen Beschäftigungen mit Büchern gab es eine Initiative, bei der ich mich gerne und viel engagiert habe: Die Worträumer betrieben einen kleinen Raum innerhalb einer Künstlerkolonie und eines Vereines. Bücher aus vielen Bereichen türmten sich dort auf kleinem Platz. Jeder konnte alles ganz frei mit Büchern machen: ausleihen, mitnehmen, bringen – je nach eigener Intention und gusto. Viele Besucher brachten bald ganze Kisten mit ihren abgelegten Büchern und die Türme wurden höher und die Regale flossen über. Zusammen mit den beiden Betreiberinnen diskutierten wir, sortierten und führten freundschaftliche Streitgespräche, welche Bücher bleiben sollten und welche eine weitere Reise antreten mussten. Ich fing an, die Literatur zu sortieren und es wurden neue Regale angeschafft. Wir sortierten und ordneten ein. Bald waren viele Kisten mit neuen Büchern wieder da, einzelne Bände gingen aber auch in den Besitz zufriedener Leser über.

Ab und zu fanden kleine literarische Zirkel zu verschiedenen Themen statt. Es wurden Bücher vorgestellt und zu verschiedenen Themen vorgelesen. Dabei gab es einen guten Schluck zu trinken und einen kalten, herzhaften Imbiss.

Dieser Raum hatte, bei allem büchereigenen Chaos, eine tolle Ausstrahlung. Die beiden Frauen würdigten meine Arbeit und sagten, sie hätten mich in den Initiativkreis aufgenommen. Ich freute mich, wenn es mir auch nicht um das Lob ging, sondern um die gute Sache und ich verbrachte viele einsame Stunden mit alphabetisieren, sortieren – oder ich las mich fest.

Dann kam die dunkle Zeit, in der die Obrigkeit aus gesundheitlichen Gründen soziales und kulturelles Leben einschränkte oder verbot und es wurde still im Raum mit den Wortträumen.

Zu der dunklen Zeit gehört auch das erstarken der Ordnungshüter. Meist selbsternannt, achten diese Menschen darauf, dass alles ordentlich, systemgerecht und rational bleibt oder wird. Auch in unserem Umfeld gab es jemanden, der ständig andere darauf hinwies, dass dieses oder jenes unordentlich sei. Daher kam dann der Vorschlag, den Raum mit den Büchern in einen sehr ungemütlichen gegenüberliegenden, größeren Konferenzraum zu verlegen, um den kleineren Raum dann für den Verein kostensparend zu vermieten. Wie meist, wurde die Idee als Beschluss mit allen möglichen Menschen im Umfeld besprochen, nicht aber mit denjenigen, die sich für die Literaturinsel verantwortlich fühlten. Ich hörte vielfach davon, tat aber diese Mitteilungen als Gerüchte ab, weil sie im Künstlerumfeld Alltag zu sein scheinen. Bis mich die Ordnungskraft zwischen Tür und Angel ansprach und mir die Idee erzählte. Ich war, gelinde gesagt, wenig begeistert. Die Bücher brauchen ihren exklusiven Bereich und sind in Gemeinschaftsräumen nur zur Deko und als Staubfänger vorhanden. Ich hatte es allzu oft erlebt. Also machte ich klar, dass dies das Ende meiner Beteiligung an der Initiative bedeuten würde. Das schreckte die Ordnungskraft wenig und immer mehr Menschen sprach sie auf die grandiose Idee an. Ganz zuletzt wurde auch eine der beiden ursprünglichen Gründerinnen des Raumes kontaktiert. Diese hat mir am Telephon kurz vorher versichert, dass sie nicht mit einer Verlegung einverstanden sei. Nach dem Gespräch sah das deutlich anders aus. Es kam wie es kommen musste, mit dem Segen der Gründerinnen wurde diese Idee tatsächlich dann zu einem Beschluss.

Ich bin traurig, enttäuscht und verletzt. Wieder stirbt ein besonderer Bücherplatz um „aus Gründen der Vernunft und des Geldes“ in einen Multifunktionsraum verwandelt zu werden, an dem kein Platz für kreatives Chaos und eine angemessene langsame Entwicklung ist. Denselben Prozess haben die alten Antiquariate nicht überlebt, deren Räume jetzt von teuren Butiken eingenommen werden. Das Einzige in diesem unschönen Prozess, was mich wirklich befremdet ist, dass wohl kein weiterer Benutzer an diesem seltenen Raum hing und bemerkt hatte, welche Insel für Kunst und Kultur dort blühte. Schade.

Fognin, Carlshöhe, in der dunklen Coronazeit des späten Jahres 2020. ein Text des Eckernförder Künstlers fognin veröffentlicht bei Schreibzwang – dem Institut für das gebildete Wort

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