Ausschreitungen in der Nicolaikirche

Ausschreitungen in der Nicolaikirche

Gross angelegte Kompositionen mit fast orchestralen Ausmassen brachte das zweite Konzert diesen Jahres der Konzertreihe „Neue Musik“ zur Aufführung. Nur drei Werke erklangen an diesem Abend. Alle drei hatten deutlich länger Spielzeiten und wurden jeweils in recht grosser Besetzung vorgestellt. Namensgebend und am Anfang stand die Uraufführung von Clemens Nachtmanns „ausschreitend“ für Ensemble von 2009/2010. Nachtmann, der 2010 als Stipendiat in Eckernförde weilte und während dieser Zeit an seinem Werk feilte, stammt ursprünglich aus Bayern. Musikalische und politische Studien führten ihn nach München, Berlin und Graz. In Österreich hat er einen Lehrauftrag an der Kunstuniversität Graz.
Aufgebaut auf der Idee eines Trauermarsches mit Bezügen zu Beethoven Mahler, Liszt und Berlioz beschäftigte sich der Komponist mit der Geste des Schreitens. Neun Musiker, davon 5 Bläser bildeten das Ensemble, die das schwierig zu spielende Werk mit dreidimensionaler Kraft in den Klangraum der Nicolaikirche stellten. Kraft, Lebendigkeit und Stärke sind die Begriffe die diese Komposition am treffensten beschreiben. Clemens Nachtmann malte mit seinen Tönen einen umfassenden durchseelten Raum, an einen urmächtigen Wald erinnernd, der bewohnt von vielerlei ungestörten Wesen zu sein scheint. Die starke Bläsergruppe (besonders hervorzuheben Wardy Hamburg an verschiedenen Saxophonen) spielte teilweise direkt in den Flügel und veränderte so den Raumklang in faszinierender Weise. Das diesjährige Generalthema der Musikreihe, Räume wurde in Nachtmanns Stück sehr anschaulich. Seine gross angelegten, teilweise heftigen Tonbilder klangen in spannungsgeladenen Pausen aus. Während der erste Satz die Themen in den Raum „stellte“, beschäftigte sich der zweite eher mit der inneren Verarbeitung. So ergab sich ein weiterer grandioser Spannungsbogen, der die Thematik „Bewegungen im Raum“ vielfach vertiefend spiegelte. Das Werk hat einen umfassenden Erlebnischarakter, es ist ihm zu gönnen auch noch an anderen Orten das Publikum in seinen Bann zu schlagen
Es schloss sich die Komposition „Swamp Forest“ (2004) von Larisa Vrhunc an. Die vielfach gespielte Slowenin zeigte in ihrem Werk eine „unfreundliche Waldgegend“ die zehn der 14 Musiker gewaltig in Szene setzten. Gerald Eckert setzte das Werk in seinen diesmal sehr kurzen Einführungen in Beziehung zu Lebens- und Sterbeprozessen mit ihren vielfachen Veränderungen. Immer wieder beachtlich, wie das „ensemble reflexion K“ auch in sehr grosser Besetzung präzise und durchgeprobt erscheint und auch komplexe Klangwerke lebendig und erlebnisreich vorstellen kann.
Gerald Eckert, der als musikalische Leiter des Abends alle drei Werke dirigierte, hatte eine lange Flugreise hinter sich. Er arbeitet derzeit in Seol (Südkorea) als Professor für Komposition. Als Abschluss dieses gross angelegten Konzertabendes erklang ein alter Publikums-Freund: „An den Rändern des Maßes“ (2005/2011) begegnete den Hörern der neuen Musik immer mal wieder während seiner langen Entstehungszeit. Diesmal setzte es einen gekonnten, zusammenfassenden Schlusspunkt. Das Werk beschäftig sich mit Auflösungserscheinungen. Der bewegte Raum, durch zwei Ensemblegruppen deutlich, verlagert sich spürbar nach Innen. Gerald Eckert vermag es, durch seine feinstrukturierten Kompositionen, das musikalische Geschehen in den Zuhörer zu verlagern. Während das Stück mit einer konzentrierten Schluss-Stille im Raum ausklingt, wird es das hörbar begeisterte Publikum noch eine Weile begleiten.
Das nächste Konzert der Reihe Neue Musik, zu dem Gerald Eckert wieder aus Korea anreisen wird, beschäftigt sich mit dem 250. Geburtstag der Häßler Orgel. Am Donnerstag, den 21.6. um 20 Uhr in der St.-Nicolai-Kirche. (fst)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*